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„Begegnung ohne Befehl“

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Auf der Sitzung des Kriegsrates mit Marschall Konew am Vorabend des 25. April 1945 wurden die Details des Treffens mit der Amerikanischen Alliiertenarmee abgesprochen, deren Stabsführung in das so genannte „sowjetische Gebiet“ eingeladen werden sollte. Als voraussichtlicher Ort dieses Treffens war Strehla vorgesehen, ein kleines Städtchen, etwa 30 Kilometer von der sächsischen Stadt Torgau entfernt.
 

Major Larionow, Hauptmann Neda, Unteroffizier Andrejew und Oberleutnant Silwaschko erhielten den Befehl, der amerikanischen Seite die Einladungen zu überbringen. Die Amerikaner ihrerseits planten ein offizielles Treffen mit den Russen im Hauptquartier des Oberbefehlshabers der amerikanischen Armee, General Eisenhower. Die Russen waren etwa 20-30 Meilen vor den Amerikanern. Daher war Vorsicht besonders geboten, wenn zwei große, wenn auch befreundete Armeen im Laufe einer Offensive aufeinandertreffen. Da kann es immer zu unschönen Ausschreitungen und somit zu Opfern kommen. Deshalb entschieden Eisenhower und Shukow, dass beide Armeen in einem Abstand von 25 Meilen zueinander vorrücken sollten.
 

Auf der amerikanischen Seite wurden so genannte Patrouillen aufgestellt, die aus sieben Jeeps und 28 Soldaten und Offizieren bestanden, die die Frontlage auskundschaften und bestätigen sollten, dass die Russen schon da waren.
 

Historisch verbrieft ist, dass die Patrouille von Leutnant Kotzebue als erste auf die Russen traf. In dieser Patrouille war der Soldat Joe Polowsky als Deutsch-Dolmetscher, von dem der berühmte Schwur an der Elbe stammt: „Wir, Amerikaner und Russen, und alle friedliebenden Völker blicken mit Hoffnung in die Zukunft und rufen alle dazu auf, niemals wieder gegeneinander zu kämpfen.“ Nach dem Krieg ging der Taxifahrer aus Chicago und ehemalige Soldat Joe Polowsky alljährlich am 25. April auf die Michigan Avenue Bridge und rief von dort aus die beiden Großmächte dazu auf, die Welt nicht mehr mit ihren Atomwaffen zu bedrohen. Und wenn er von Passanten gefragt wurde, warum er sich so für den Frieden einsetzt, antwortete er stolz, dass er einer von denen ist, die am 25. April 1945 an der Elbe alle dazu aufgerufen hatten, ohne Krieg zu leben. Als er schon sterbenskrank war, hatte er in seinem Testament darum gebeten, in Torgau begraben zu werden, in der Stadt, die für ihn zu einem Symbol der Friedensliebe geworden war. Und seine Bitte wurde erfüllt. Auf Anordnung von Erich Honecker wurde er 1983 in Torgau bestattet, und ein Gymnasium der Stadt wurde nach ihm benannt.


Im April 1945 wurde die Freude der Begegnung mit den Russen aber auch getrübt durch die Entdeckung Hunderter Leichen von Kindern, Frauen und Alten. Bis heute ist nicht geklärt, ob sie den Luftangriffen oder dem Artilleriebeschuss zum Opfer fielen. Am Ort einer so blutigen Schlacht wollte man nicht die Verbrüderung der beiden Armeen feiern, und deshalb wurde nicht Strehla zum Ort der Begegnung, sondern Torgau. Genau dort stieß eine andere Patrouille des Oberleutnants Robertson auf vier Russen. Auf einem Foto ist der berühmte Händedruck von Oberleutnant Silwaschko und Oberleutnant Robertson dargestellt. Heute befindet sich dieses Foto im Moskauer Armeemuseum.

 

Es grenzt übrigens an ein Wunder, dass Robertson nicht durch russische Artilleristen erschossen wurde, die von weitem nicht die Fahne erkannten, die er von Hand als amerikanische Fahne mit Farben bemalt hatte, die er in einem Laden der Stadt gefunden hatte. Mit Hilfe eines Amerikaners, der etwas Russisch sprechen konnte, aber vor allem mit Gestik und Mimik ging diese Situation zum Glück glimpflich aus.


Und hier machten die Unterhändler einen verhängnisvollen Fehler. Ohne Befehl von oben, getrieben von Ungeduld und des Krieges überdrüssig, kletterten sie von beiden Seiten der Elbe über das Gerüst der 100-Meter-Brücke und trafen sich dort in der Mitte. Alles Misstrauen, alle Enttäuschungen, Missverständnisse und Differenzen in den vorangegangenen Kriegsjahren waren augenblicklich vergessen, hier an der Elbe. Das war die erste Begegnung der beiden Armeen im Zweiten Weltkrieg, der Vereinigten Staaten von Amerika unter dem Kommando von General Courtney H. Hodges und der Sowjetunion, der 1. Ukrainischen Armee unter dem Kommando von Marschall Konew.
 

Man schaffte es nicht einmal, auf den Sieg zu trinken. Es fanden sich Akkordeons und Balalaikas. Die Russen versuchten, amerikanische Melodien zu spielen, und die Amerikaner studierten russische Lieder ein. Russische junge Frauen tanzten. Als Souvenir wurden die für die Amerikaner verlockenden roten Sterne von den Kragenspiegeln abgerissen. Auch die Amerikaner geizten nicht mit Geschenken – Büchsenfleisch und Akkordeons – alles ging. Das war ein totaler Triumph. Das gemeinsame Ziel war erreicht, die Faschisten waren geschlagen. In seiner Emotionalität war das Zusammentreffen an der Elbe eine besondere Begebenheit in der Geschichte.
 

Über diese „nichtgenehmigte Begegnung“ wurde Truman, Churchill und Stalin berichtet. Vierhundert Korrespondenten brannten vor Ungeduld, über dieses Zusammentreffen der Amerikaner mit den Russen zu berichten, worauf in der ganzen Welt gewartet wurde.

Es gab aber ein offizielles Verbot zur Verbreitung solcher Informationen, weil man noch darauf wartete, wie Truman, Churchill und Stalin ihre Interpretation des Geschehens öffentlich bekanntgeben würden. Und aus diesem Grund kamen zuerst Fotos in die Weltpresse, die nicht am 25. April gemacht wurden, sondern erst am Tag darauf.


Oberleutnant Robertson wurde als Nationalheld gefeiert, und konnte im Privatflugzeug von General Eisenhower fliegen. Die sowjetischen Offiziere hingegen wurden degradiert für ihr eigenmächtiges Handeln ohne Befehl, sie wurden aus der Partei ausgeschlossen, ihre Auszeichnungen wurden ihnen aberkannt, und sie wurden ins Hinterland abgeschoben. Erst Jahre später wurden sie alle rehabilitiert und ihre Verdienste wieder anerkannt. Am wenigsten von allen hatte Oberleutnant Silwaschko auszustehen. Zu jener Zeit war er noch nicht Parteimitglied, in die Armee einberufen wurde er über das Gebietskomitee des Komsomol. Nach dem Krieg kehrte er nach Weißrussland zurück und arbeitete 50 Jahre lang als Direktor einer Dorfschule in der Region Grodno.

1985 hatte er das Glück, auf Einladung von Robertson nach Amerika zu kommen. Dessen Schicksal gestaltete sich erfolgreich. Er wurde ein berühmter Neurochirurg und war Ehrenbürger von Kansas und Dallas.

Und Oberleutnant Silwaschko schämte sich auch 60 Jahre später seiner vielen Tränen als nun schon alter Mann nicht, als er auf die Brücke über die Elbe schaute. Es wunderte ihn immer noch, welch friedensstiftende Mission das Schicksal für ihn bereithielt.

Marina Lewandrowski

(Übersetzt von Ehrengard Heinzig)

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